Thema: Zum Jahreswechsel und den kommenden Feiertagen Do Dez 20, 2012 8:55 pm
Für alle, die sich mit mir nach dem gleichen Kalender richten, geht in Kürze wieder einmal ein Jahr zu Ende. Das "Jahr" ist eine willkürlich gewählte Menge von Zeit, mit willkürlich festgelegten Anfangs- und Endpunkten, über deren Allgemeingültigkeit jedoch eine fast vollständige, kollektive Übereinstimmung besteht. Das ist - ich werde noch daraufzurückkommen - nicht nur gut, sondern sogar schön. Sehr schön. Jeder, der zu Beginn eines Jahres schon - und am Ende noch - lebt, hat in diesem Jahr exakt genau so viel Zeit zur Verfügung wie jeder andere, auf den die einfache Bedingung des "Erlebens" zutrifft. Die Behauptung: "Ich habe keine Zeit", ist also falsch, so sehr der damit umschriebene Zustand im subjektiven Erleben des Einzelnen auch zutreffen mag.
Wir haben Zeit. . Jeder hat an jedem Tag,in jeder Woche, jedem Monat, jedem Jahr die gleiche Menge Zeit zur Verfügung. Gleichgültig, ob er sie in Tagen oder Sekunden misst - oder, ganz ohne Uhr, einfach im Strom der Zeit schwimmt. Das Phänomen, dass Zeit zwar mit Uhren absolut exakt und gleichmäßig gemessen werden kann, doch keineswegs von jedem Menschen auch als gleichmäßig verlaufend wahrgenommen wird, will ich nicht ganz außer Acht lassen, wenngleich es nur ein Randthema dieser Betrachtung ist. Dass Ältere die Zeit als schneller dahineilend wahrnehmen als Jüngere, dass sich Phasen der Langeweile schier endlos hinziehen, während die Stunden bei angeregten Gesprächen, bei unterhaltsamem Spiel, wie im Flug vergehen, während die Zeiger der Uhr in so genannten Stresssituationen zu rasen scheinen, hat wohl jeder schon erlebt. Die Zeitdehnung, von der Menschen, die lebensbedrohliche Notsituationen überlebt haben, berichten, von jenen Sekunden oder Sekundenbruchteilen, in denen sie komplexe Überlegungen anstellten, schwierige Entscheidungen trafen und die entsprechenden Handlungen ausführten, zu denen sie in Normalsituationen sehr viel länger gebraucht hätten, ist ein Phänomen, dass längst nicht jeder erlebt hat. Andererseits - und das ist eine vergleichbare Zeitdehnung - ist es aber auch so, dass ein erstmals gegangener Weg sehr lang, auch zeitlich lang erscheint, während er bei jedem neuen Begehen ein wenig kürzer zu werden scheint, bis seine Länge sich als "bekannt" in unserem Bewusstsein eingegraben hat. Und dann gibt es noch das Phänomen der zwei parallel existierenden Zeiten, wie wir es beim Singen oder beim Rezitieren eines Gedichtes erleben können: Das Lied, oder das Gedicht, erscheint in unserem Bewusstsein, meist zeilenweise, manche hören, manche visualieren es, und gibt uns, während wir die letzten Silben der vorhergehenden Zeile noch rezitieren, klar und deutlich vor, was als nächstes vorzutragen ist. Dieses Augenblicks-Geschehen im Kopf "fühlt" sich ganz genau so an, wie das dann Gesprochene oder Gesungene, doch würde man die Zeit messen, die es tatsächlich braucht, um eine solche Zeile exakt so in sich zu hören (oder zu lesen) wie sie kurz darauf gesprochen wird, es käme ein ganz erstaunlich kurzer Wert dabei heraus, viel weniger als ein Fünftel. Träume, die sich im Schlaf über viele Minuten, manchmal Stunden hinziehen, dauern in Wahrheit nur wenige Sekunden, die Schlaf- und Traumforscher haben das zweifelsfrei nachgewiesen. Und Uwe Brosch hat dazu ein wunderschönes kleines Gedicht geschrieben:
Die Uhr und die Zeit An der Uhr kam die Zeit zufällig vorbei. Da prahlte die Uhr, wie pünktlich sie sei.Immer genau! Und immer korrekt! Das hat den Unmut der Zeit geweckt. Sie ließ die Uhr ganz einfach stehn. Ganz leicht, so im Vorübergehn.
(aus: Brosch, Uwe, "Lass Dir den Himmel nicht entsternen", EWK-Verlag, Nov. 2010, ISBN 978-3-938175-62-0 )
Die "gelebte" Zeit ist eben etwas ganz anderes als die "gemessene" Zeit.
Und obwohl diese gelebte Zeit für den Einen eine "erlebte" Zeit und für den Anderen eine "verlebte" Zeit ist, kommt unbarmherzig am 31.12. eines jeden Jahres neben den vielen öffentlichen Jahresrückblick auch der Augenblick, an dem man sich fragt: "Wie war dieses Jahr, wie lang war es für mich - oder wie kurz, was habe ich in diesem Jahr geschaffen, was habe ich versäumt, was habe ich verändert, was habe ich schleifen lassen, war es ein gutes Jahr, ein durchschnittliches oder gar ein schlechtes?"
In diesem Augenblick, so man ihn sich denn gönnt, kann Euphorie ebenso aufkommen wie Resignation, Freude und Glück ebenso wie Niedergeschlagenheit, Traurigkeit und Angst. Und das ist weitgehend unabhängig davon, ob jemand reich, wohlhabend oder arm ist. Das Sprichwort : "Jeder ist seines Glückes eigener Schmied", wird häufig nur so (und damit falsch) verstanden, dass jeder alleine für das verantwortlich ist, was er in einem Jahr, in einem Jahrzehnt, in einem - seinem - Leben erreicht, erschafft und zusammenrafft. Dem folgt dann die Aufzählung: "Mein Haus, mein Auto, mein Segelschiff, mein Pferd, mein Aktiendepot ..." Und alle diese materiellen Errungenschaften, hat sich der "Glücksschmied" mit seiner Intelligenz, seinem Können und seinen Fähigkeiten selbst geschmiedet. Ob er damit glücklicher ist als sein materiell ärmerer Nächster, ist damit noch nicht geklärt.
Glück ist nun einmal nicht materieller Natur. Glück ist auch nicht zu verwechseln mit dem Zufall, der jemanden das richtige Los ziehen lässt. Glück ist ein sehr starkes, sehr gutes Gefühl, das ausgelöst wird, wenn ein Ereignis eintritt, dem wir in unserem innersten Wesen eben dieses Glücksgefühl zuordnen. Ein Schüler der fürchtet, durchs Abitur zu rauschen, kann bei bestandener Nachprüfung großes Glück empfinden, ein anderer Schüler, der einen Notendurchschnitt von 1.0 erhoffte, kann bitter enttäuscht, traurig, ja unglücklich sein, wenn am Ende im Zeugnis nur 1,2 steht.
Und so ist letztlich der seines Glückes Schmied, dessen inneres Wertesystem ihm ermöglicht, Glücksmomente als solche wahrzunehmen. Perfektionisten und Zyniker, nicht selten in einem Charakter vereint, gehen dem Glück aus dem Weg. Ihnen ist nichts gut genug, und wo etwas wirklich gut ist, neigen sie eher dazu, es kleinzureden und in den Schmutz zu ziehen, als sich daran zu erfreuen. Karrieresüchtige erklimmen die Leiter, kaum anders als der rennende Hamster im Rad. Immer fixiert auf den nächsten Aufstieg, nie ist es ihnen schnell genug, um über eine Stufe glücklich sein zu können, und wenn es nicht mehr weiter geht, macht sich Verbitterung breit, selbst wenn die höchstmögliche Stufe in der jeweiligen Organisation erklommen ist. Der Vorstand einer Aktiengesellschaft ist eben noch nicht der Vorstand der größten Aktiengesellschaft. Der Vorstand der größten Aktiengesellschaft ist noch nicht der Bundeskanzler. Der Bundeskanzler ist nicht der Präsident der USA - und der ist zwar Friedensnobelpreisträger, doch immer noch vom Wohlwollen der Republikaner abhängig. Selbst der Papst ist nicht Gott - und könnte an der Gewissheit verzweifeln, es auch nie werden zu können, wäre er von jenem Streben besessen, das ihn nur im Erklimmen der nächsten und übernächsten Stufe - die über-übernächste schon fest im Blick - die Gewissheit gibt, wertvoll zu sein.
Ein Jahr neigt sich dem Ende zu. Zeit und Gelegenheit, sich die Frage zu stellen: "Bin ich ein glücklicher Mensch?"
Es gibt ein Märchen, in dem ein ein König sterbenskrank wird. Alle ärztliche Kunst kann ihm nicht helfen. Da erklärt ihm ein Weiser, er können gesunden, er müsse nur das Hemd eines wahrhaft Glücklichen tragen. Boten und Späher werden ausgesandt, um das Hemd eines Glücklichen herbeizuschaffen, doch wer auch immer gefragt wird, ob er wahrhaft glücklich sei, verneint das nach mehr oder minder langem Nachdenken. Am Ende findet man im Wald einen Köhler an seinem Meiler, schwitzend und rußverschmiert - und entgegen aller Erwartung erklärt der ganz und gar fröhlich: "Ja, ich bin wahrhaftig glücklich!" Die Pointe: Der wahrhaft glückliche Köhler besaß kein Hemd.
Die Pointe zwischen den Zeilen: Dem König hätte es nur gelingen müssen, selbst glücklich zu sein, so wie es dem Schüler gelungen ist, der gerade noch sein Abitur geschafft hat, dann hätte er sein Hemd als das Hemd eines Glücklichen getragen und wäre - nach der Prophezeiung des Weisen, gesundet. Wir wissen, dass viele Krankheiten psychosomatisch sind, ihre Ursachen also in der Psyche, in der Seele haben, und es gibt nicht wenige, die letztlich alle Krankheiten auf psychische Ursachen zurückführen und sogar den Beinbruch beim Skifahren als eine Äußerung des Unbewussten ansehen, das damit die Bedürfnisse der Psyche ausdrückt, oder deren Befriedigung - z.B. das Bedürfnis nach Ruhe, wie es nur mit ein paar Tagen Bettruhe möglich ist - durch einen Unfall gar erzwingt. Ich will nicht behaupten, dass dies so ist, doch räume ich solchen Zusammenhängen eine gewisse Wahrscheinlichkeit ein, die groß genug ist, um sie nicht von vornherein auszuschließen. Die Hirnforscher wissen inzwischen, dass Entscheidungen, von denen wir annehmen, wir hätten sie mit dem Verstand getroffen, schon fix und fertig aus den Tiefen unseres Unbewussten aufsteigen, während der Verstand nur noch die Aufgabe übernimmt, diesen Entscheidungen die Argumente PRO und CONTRA so zuzuordnen, dass wir in der Lage sind, auch eine verstandesgemäße Erklärung für unsere Entscheidung abzugeben, vor allem auch für uns selbst. Natürlich gibt es auch hier weite Spielräume. Je mehr ein Mensch "Verstandesmensch" ist, desto weniger kommen die Entscheidungen, die aus dem "Bauch" kommen, auch durch den Filter des Verstandes, und je mehr ein Mensch ein "Gefühlsmensch" ist, mit desto fadenscheinigeren Argumenten, die der Verstand dazu liefert, wird er sich zufrieden geben. Doch neben Verstand und Gefühl gibt es noch eine dritte Kategorie, die unser Handeln und Erleben bestimmt. Ein "Ding", das unabhängig von Verstand und Gefühl auftritt, nämlich den Willen. Als ich vor vielen Jahren - ein paar Wochen nach der Musterung - dem "Eignungs- und Verwendungstest" unterzogen wurde, weil die Bundeswehr sich ein Bild davon machen wollte, wo ich am besten eingesetzt werden könnte, hatte ich das besondere Vergnügen, nach der Auswertung der vielen schriftlichen Tests zu den Wenigen zu gehören, die noch eine Privataudienz beim Truppenpsychologen über sich ergehen lassen mussten. Mir ist aus dieser Begegnung eine Frage in Erinnerung geblieben, und ich stelle sie mir seither in größeren Abständen immer wieder selbst: "Welche Rangreihe haben für Sie 'Wille', 'Gefühl' und 'Verstand'?"
Meine damalige Antwort lautete: 1. Verstand, 2. Wille, 3. Gefühl. Seitdem hat sich meine Einschätzung immer wieder einmal geändert. Und jedesmal, wenn ich mir diese Frage ernsthaft stelle, lerne ich Neues über mich, komme ich zu neuen Erkenntnissen, gelingt es mir immer präziser zu differenzieren und die jeweilige Rangreihe zu interpretieren. Und - glauben Sie mir - dieser Prozess einer erweiterten Selbsterkenntnis, ausgehend von einer scheinbar trivialen Frage, macht glücklich. Nicht unbedingt, weil die frisch gewonnene Erkenntnis jedesmal als positiver Wandel wahrgenommen wird, sondern weil die frisch gewonnene Erkenntnis neue Möglichkeiten eröffnet, den Dreiklang aus Gefühl, Verstand und Wille noch harmonischer zu gestalten. Es sind doch nicht die Umstände, die uns glücklich machen, es sind die Möglichkeiten, die wir entdecken, die wir ausprobieren und ausschöpfen können, es sind die Ziele, die wir uns setzen, es sind die Gefühle, die wir damit verbinden, es ist der Weg, den wir gehen, um diesen Wünschen und Zielen näher zu kommen. Glück liegt nur in uns selbst. Niemand und nichts kann uns glücklich machen, wenn wir nicht bereit sind, glücklich zu sein. Wenn das, was von außen auf uns zukommt, mit unseren Überzeugungen davon, was uns glücklich macht, nicht übereinstimmt, werden wir kein Glück erleben, selbst wenn 99.9 % aller anderen Menschen die gleichen Umstände und Erlebnisse als Glück empfänden. Paul Watzlawick hat in seiner "Anleitung zum Unglücklichsein" in brillanter Form, teils anektodisch, dargestellt, welche Mechanismen in "Unglücklichen" wirken. Ein Beispiel ist tief in mir hängengeblieben. Ich erzähle es hier frei nach: Da will ein Mann ein Bild aufhängen. Er hat eine Wand, an der das Bild Platz finden könnte, das Bild hat einen Aufhänger, der Mann hat auch einen Nagel, den er in die Wand schlagen will, doch er hat keinen Hammer. Ihm kommt der Gedanke, er könnte beim Nachbarn klingeln und ihn bitten, ihm seinen Hammer für ein paar Minuten zu leihen. Gleich darauf stellt sich ihm die Frage, ob er den Nachbarn womöglich bei einer wichtigen, oder auch nur einer unwichtigen Beschäftigung stören könnte. Er stellt sich die Frage, während er seine Tür öffnet, ob der Nachbar es nicht überhaupt als Frechheit auffassen könnten, wenn er ihn um seinen Hammer bittet. Beim Überqueren des Flures kommt er zur Überzeugung, der Nachbar würde seine Bitte höchstwahrscheinlich abschlagen, und als er den Daumen auf den Klingelknopf drückt, schießt ihm der Gedanke durch den Kopf, dass der Nachbar ihn wahrscheinlich sogar schadenfreudig auslachen wird. Der Nachbar öffnet, grüßt freundlich - und unser Mann brüllt ihm zutiefst gekränkt entgegen: "Behalt doch Deinen Hammer, du Depp!", dreht sich um und verschwindet türenknallend in der eigenen Wohnung.
Seine in ihm aufsteigende Überzeugung, den Hammer, den er so dringend gebraucht hätte, um sein Bild aufzuhängen, nicht zu bekommen, hat ihm die Erfahrung beschert, dass er den Hammer tatsächlich nicht bekommen hat - und seine ebenso in ihm aufsteigende Überzeugung, dass der Nachbar ein böswilliger Mensch sei, wird ihm bei der nächsten Begegnung mit dem verärgerten Nachbarn die Erfahrung machen lassen, dass der ihm tatsächlich nicht (weiter) wohlgesonnen ist. Dies wird seine Überzeugung bestätigen - und er wird neue Erfahrungen machen, die dieser Überzeugung entsprechen. Obwohl ich Watzlawick schon vor vielen Jahren gelesen habe, bedurfte es vieler langer geduldiger Gespräche mit einer guten Freundin, um in mir den Kausalzusammenhang vom Kopf auf die Füße zu stellen. Es ist nicht so, dass Erfahrungen zu Überzeugungen führen. Es ist umgekehrt: Unsere Überzeugungen bestimmen unsere Erfahrungen. Danke, Manuela!
Viele - durch vielfache Erfahrungen verhärtete - Überzeugungen sind so manifest, dass es kaum möglich ist, sie zu ändern. Der Versuch, den Punkt zu finden, an dem die Überzeugung in unser Bewusstsein gelangte, ist um so schwieriger, je mehr diesbezügliche Erfahrungen wir gemacht haben. Die Psychoanalyse versucht den langwierigen Weg zu gehen, den Patienten an die - zumeist - frühkindlichen Erlebnisse, an die Verbote und Gebote der Eltern, an die Prophezeiungen von Verwandten, Spielgefährten, Lehrern und Erziehern zurückzuführen und die Situation noch einmal "durchleben" zu lassen, um zu erkennen, dass sie für das jetzige Leben, für die heutige Situation keine Gültigkeit mehr haben. Die Anhänger von NLP (Neurolinguistische Programmierung) unternehmen den Versuch, diesen Vorgang zu verkürzen, in dem sie ihre "Klienten" auf eine höchst effiziente Weise so umprogrammieren, dass alte "positive Wahrnehmungsmuster" - zum Beispiel, das Aussehen, der Geruch, der Geschmack, die Konsistenz von "fetten Pommes" auf gesündere Lebensmittel, z.B. auf rohe Karotten, übertragen werden, während die bisherige "negative Wahrnehmung" roher Karotten auf die "fetten Pommes" übertragen wird. Das ist ein sehr einfaches und auch vollkommen verkürzt wiedergegebenes Beispiel, doch trägt es das Grundprinzip von NLP einigermaßen korrekt in sich. NLP funktioniert. Jedenfalls bei den meisten. NLP erfüllt - mit Hilfe des kundigen Programmierers - einerseits klar formulierte Wünsche des Klienten, sich z.B. das Rauchen abzugewöhnen, indem die Wahrnehmung der Zigarette und des Rauchens verändert werden. NLP kann sogar Beziehungsprobleme lösen, indem die gegenseitige Wahrnehmung der Partner verändert wird, doch NLP verändert eben nur die Attribute der Wahrnehmung, es greift nicht in die tiefsten Überzeugungen ein und ist damit nur bedingt geeignet, wirklich glücklich zu machen. Wer Pommes mag, wird auch weiter Pommes mögen, auch wenn er statt an Pommes an Karotten nagt. Er "verwechselt" fortan nur Karotten mit Pommes. Wer eine Eigenschaft seines Partners missbilligt, wird diese auch weiterhin missbilligen, auch wenn er sie künftig nicht mehr erkennt, weil er sie mit den positiven Attributen einer anderen Eigenschaft besetzt hat und daher nicht mehr wahrnimmt. Er täuscht seine Sinne, doch er verändert nicht seine Überzeugungen.
Wenn Sie nun vor dem Jahreswechsel stehen, Ihre persönliche Bilanz über das Jahr 2012 ziehen, und zu dem Schluss kommen: "Es war ein sehr gutes Jahr und ich war glücklich, 2012", dann trugen Sie offenbar die Überzeugungen in sich, die Sie glückliche Erfahrungen machen ließen. Was aber, wenn es anders aussieht, wenn jemand zu dem Schluss kommt, 2012 sei kein gutes Jahr gewesen, sogar ein unglückliches Jahr? Dann wird dieser Jemand dazu neigen, das Neue Jahr mit guten Vorsätzen zu beladen. Er wird beschließen, was er alles anders, besser, schneller, mehr, nachdrücklicher, geduldiger, gewissenhafter tun wird - und was er im Neuen Jahr unterlassen wird.
Wie heißt es so schön: "Der Weg zur Hölle ist gepflastert mit guten Vorsätzen". Die meisten guten Vorsätze sind spätestens an Dreikönig wieder über den Haufen geworfen. Sie stellen sich als nicht einhaltbar heraus - und die Ursache dafür, Sie erraten es, liegt in unseren Überzeugungen. So lange wir unsere Überzeugungen nicht zu ändern verstehen, werden sich unsere Erfahrungen nicht ändern. Und solange sich unsere Erfahrungen nicht verändern, werden auch die besten Vorsätze nicht zu anderen Erfahrungen führen. Wer überzeugt ist, nie genug Geld zu haben, und deshalb mit dem guten Vorsatz: "Ich werde noch mehr arbeiten", ins Neue Jahr geht, wird den Job, mit dem er wirklich genug Geld verdienen könnte, nicht finden - er hat ja nun noch weniger Zeit dafür, und da er sein Bewusstsein per Vorsatz auf "Mehrarbeit" ausrichtet, wird es ihm vielleicht gelingen, mehr zu arbeiten. Genug Geld wird er voraussichtlich auch weiterhin nicht haben. Wer der Überzeugung ist, ohne Zigaretten könne er sich nicht richtig konzentrieren, kann mit dem guten Vorsatz, gesünder zu leben und deshalb das Rauchen aufzugeben ins Neue Jahr gehen, er wird erfahren, dass seine Konzentration total nachlässt, er wird vom Gedanken an die Zigarette erfüllt und umgetrieben, bis er - um seiner Arbeitsfähigkeit willen - rückfällig wird. Und so reiht sich Überzeugung an Überzeugung - und die besten Vorsätze schmelzen im Angesicht dieser tief verwurzelten Überzeugungen dahin, wie das Eis in der Sonne.
Eine der mächtigsten Überzeugungen überhaupt, ist die Überzeugung, keine - oder nicht genug - Zeit zu haben, um glücklich zu sein. Und da sind wir wieder am Anfang. Der Köhler und der König haben gleich viel Zeit. 365 Tage pro Jahr, und alle vier Jahre noch einen Tag extra. Der Köhler hat genug Zeit, um glücklich zu sein, der König offenbar nicht. Gehen wir davon aus, dass beide durchschnittlich gleich lang schlafen, nämlich sieben Stunden pro Tag, gehen wir davon aus, dass beide gleich lang arbeiten, nämlich 12 Stunden pro Tag, so bleiben beiden täglich fünf Stunden Freizeit. Die Freizeit des Königs ist vermutlich minutiös verplant. Er "muss"! Er muss sich alledem widmen, was sein ist. Seinen Hunden, seinen Pferden, seiner Porzellansammlung, seinen Spieluhren, seiner Mätresse und seinem Sohn, seinem Park, mit den wunderschönen Wasserspielen, seinem Steinmetz, der ihm die neuen Statuen für den Park anfertigen soll, seinem Schneider, der ihm neue Kleider macht, und, und, und ... Die fünf Stunden, die ihm neben dem Schlafen und dem Regieren für sich bleiben, sind randvoll, ja es ist sogar so, dass der König gar nicht darüber nachdenkt, womit er sich beschäftigen sollte oder gar möchte, sondern nur noch damit, was er - ohne allzugroßen Schaden anzurichten - verschieben oder ganz und gar vernachlässigen könnte ... Der Köhler, der nicht einmal ein Hemd besitzt, braucht auch kein Hemd zu waschen. Sein Meiler qualmt vor sich hin, während er Muße hat. Er "muss" nicht, er "kann". Sein Wald bietet ihm zu jeder Tages- und Nachtzeit ein ewig neues und ewig gleiches Schauspiel von Werden und Vergehen, er kann in die Sterne schauen, und deren Lauf erkunden, er kann im Bach den Forellen zusehen, wie sie sich Fliegen fangen, während die Köcherfliegenlarven unbehelligt über den Grund wandern. Er kann in jeder Blüte, jedem Grashalm, jedem Schmetterling ein Wunder entdecken und solange er einigermaßen satt ist, kann er jeden Augenblick seiner Freizeit glücklich genießen. Hinzu kommt, dass dieser Köhler durchaus auch bei seiner Arbeit glücklich sein kann. Glücklich, über sein Geschick, den Meiler zu errichten, glücklich darüber, dass es ihm gelungen ist, den Meiler zu entzünden, glücklich darüber, dass er immer an der richtigen Stelle Luftlöcher zu stoßen in der Lage ist, damit die Glut nicht erlischt, und glücklich über die Ausbeute an Holzkohle, die er aufgrund seiner Kenntnisse und Erfahrungen gewinnen konnte. Glücklich, dass die Kaufleute zu ihm kommen und ihm das, dessen er bedarf, gegen seine Kohle eintauschen. Glücklich, dass er in der Lage ist, sich selbst zu erhalten und dabei anderen nützlich zu sein. Und weil er glückliche Tage erlebt und glücklich ins Bett geht, wird er auch glückliche Träume in glücklichen Nächten erleben. Psychosomatische Krankheiten kennt er nicht - und wenn es stimmt, dass alle Krankheit ihren Auslöser in der Seele hat, dann ist er auch gesund. Er ist der Überzeugung, dass ihm alles zum Vorteil gereicht, und er ist glücklich, mit dem, was er hat. Auch mit der Zeit, der Freizeit, die er manchmal einfach tagträumend verstreichen lässt. Das soll nun aber keinesfalls ein Lob der Armut sein. Es ist nicht so, dass nur Arme wirklich glücklich sein können. Es ist das Lob des vollkommenen "In-sich-Ruhens". Ein Zustand, den jeder erreichen kann, unabhängig davon, wie reich oder arm, wie jung oder alt, wie gesund oder krank er ist.
Dieses "In-sich-Ruhen" steht auf drei Säulen: 1. Der Gewissheit, nicht verhungern oder erfrieren zu müssen. 2. Der Gewissheit, mit anderen Menschen in Verbindung zu stehen. 3. Der Gewissheit, keiner unmittelbar bevorstehenden, lebensbedrohenden Gefahr ausgesetzt zu sein.
Stellen Sie sich das ruhig wie einen dreibeinigen Hocker oder wie ein Kamerastativ vor. Wo drei Beine eine gemeinsame Fixierung finden, wo diese drei Überzeugungen in einem Bewusstsein verwurzelt sind, herrscht Stabilität. Einbeinige Melkschemel fallen in eine beliebige Richtung um, wenn niemand darauf sitzt, zweibeinige Konstruktionen fallen ebenfalls um, allerdings nur mehr in zwei mögliche Richtungen, doch ein Dreibein ist schlicht stabil, es ruht in sich selbst, auch dann, wenn die Beine ungleich lang, die Überzeugungen also nicht ganz gleichmäßig stark ausgeprägt sind. (Möbel mit vier Beinen fallen üblicherweise auch nicht um - doch, und das kennen wir alle, sie neigen zum Wackeln.)
Diese drei Gewissheiten, oder Überzeugungen, stehen unseren Grundängsten gegenüber und machen sie gegenstandslos. Und nur wo die Ängste eliminiert sind, kann das Glück Einzug halten. Ängste werden eliminiert dadurch, dass man sie sich näher betrachtet. Das erfordert zunächst den Mut, diejenige Angst zu überwinden, die uns davon abhält, die konkreteren Ängste näher zu betrachten: Es könnte ja etwas ganz und gar Fürchterliches zum Vorschein kommen. Zudem erfordert es die Größe, sich einzugestehen, dass es sich auch bei den eigenen Ängsten letztlich nur um die Folgen von inneren "Überzeugungen" handelt.
"Ich hab doch immer nur Pech ..." "Ich bin einfach zu ungeschickt, um einen Nagel einzuschlagen." "Niemand liebt mich." "Mit diesem Kleid blamiere ich mich." "Kaum hustet jemand in meiner Nähe, schon hab ich die Grippe." "Es würde mich nicht wundern, wenn ich bald meinen Job verliere." "Was, wenn ich eines Tages meine Miete nicht mehr bezahlen kann?"
Und so weiter, und so weiter.
Solche und ähnliche Gedanken beschäftigen fast jeden von uns - und das beinahe täglich, wenn auch mit wechselnder Intensität. Doch kaum einer beschäftigt sich ernsthaft mit diesen Gedanken, die von irgendwoher angeflogen kommen, und überprüft sie konsequent auf ihren Wahrheitsgehalt und auf die Wahrscheinlichkeit des Eintretens, und schon gar nicht darauf hin, was denn wirklich die substantiellen Konsequenzen wären. Also bleibt die Angst groß, weil wir dem "Unbekannten", vor dem wir uns fürchten, erlauben, so groß und mächtig und gefährlich zu erscheinen, wie es will.
Unsere Gesellschaft sorgt, wenn auch nicht großzügig, so doch ausreichend dafür, dass niemand in Deutschland verhungern, verdursten oder erfrieren muss. Das ist so selbstverständlich, dass ich es gar nicht weiter ausführe. Natürlich gibt es Horrorgeschichten von Menschen, die einsam in ihrer Wohnung an Hunger, Durst oder Kälte gestorben sind. Doch, ganz ehrlich: "Könnte Ihnen das wirklich auch passieren? Gibt es ein einziges reales Indiz dafür, dass das geschehen könnte? Und falls ja: Welche Möglichkeiten stehen Ihnen jetzt noch offen, das zu verhindern? Und falls Sie zwar solche Möglichkeiten sehen, jedoch überzeugt sind, dass die alle für Sie nicht infrage kommen, dann fragen Sie sich doch, was ausgerechnet Sie daran hindert, mögliche Hilfe anzunehmen ... Sie werden auf eine Überzeugung stoßen, auf etwas, das in Ihnen steckt, etwas, dem Sie Macht über sich eingeräumt haben. Doch es ist zugleich etwas, das Sie ganz bewusst ändern, ja sogar von einer Sekunde auf die andere "abschalten" können. Ersetzen Sie die Stimme, die zu Ihnen sagt: "Das kannst Du nicht!", durch Ihre eigene Stimme, und sagen Sie: "Ich kann - ich versuche es, ich übe es!"
Stellen Sie sich vor, wie glücklich Sie sein werden, wenn aus den ersten zaghaften Versuchen ein wahres Gelingen geworden ist! Freuen Sie sich auf das Abenteuer, sich neugierig auf neue Wege zu begeben, die Sie sich bisher nicht erlaubten, zu gehen!
Wenn nun also die nächsten 365 Tage anbrechen, und Sie dieses neue Jahr glücklich durchleben wollen, sollten Sie sich zunächst daran erinnern, dass alle Menschen, die dieses Jahr durchleben, genau so viel Zeit haben, wie Sie. Das ist nicht nur gut, das ist sogar schön. Sehr schön. (Es ist vor allem deshalb schön, weil es in dieser wilden, streitbaren Welt doch viele Dinge gibt, die allgemeiner Konsens sind, gemeinsame Vereinbarungen, die nicht mehr hinterfragt, angezweifelt oder bekämpft werden. Ein gutes Zeichen für die Menschheit, denn das war nicht immer so.)
Vor der Zeit sind wir alle gleich. . Gleicher, als jedes menschliche Gesetz Gleichheit je herzustellen vermöchte. Was in diesem Jahr auf Sie zukommen wird, ist noch vollkommen offen. Doch was auch immer 2013 für Sie bringt: Ob es für Sie ein gutes und glückliches Jahr werden wird, hängt nicht von dem ab, was das Jahr bringt, sondern von Ihren ganz persönlichen Einstellungen und Überzeugungen. Also, lassen Sie Ihre Ängste weniger an sich heran - und schon können Sie einen größeren Teil der Zeit des neuen Jahres, von der Sie genau so viel zur Verfügung haben wie jeder andere, statt mit "Angst-Haben und Sorgen-Machen" mit Zuversicht und Freude füllen.
Und überhaupt, was soll die Fixierung auf den Jahreswechsel? Das sind willkürliche Festlegungen, ich habe eine viel schönere Weisheit gefunden, und die lautet:
Heute ist ein wichtiger Tag, denn er ist der erste Tag vom Rest meines Lebens.
(Aus Engl, Chiara , "Sehen - beachten - erkennen", EWK-Verlag, November 2011, ISBN 978-3-938175-70-5)
Und so wünsche ich Ihnen zu den bevorstehenden Festtagen
viel Freude,
zum Jahreswechsel und für jeden neuen Tag Ihres Lebens
den Wunsch und die Fähigkeit, an Ihren Überzeugungen so zu arbeiten,dass Sie Tag für Tag neue, freudige und glückliche Erfahrungen machen.